Ein Jus-Studium macht noch keinen guten Richter

aus dem Zürcher Boten vom 22.04.2016

Das Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess soll dahingehend geändert werden, dass als Mitglied oder Ersatzmitglied eines Bezirksgerichts nur noch gewählt oder ernannt werden kann, wer ein juristisches Studium abgeschlossen hat. Die Vorlage basiert auf einer parlamentarische Initiative der SP (mitunterzeichnet von FDP und CVP).

Die Verfassung erlaubt das Laienrichtertum. Die Befürworter der Vorlage begründen die geforderte Gesetzesänderung damit, dass ein Richter unter anderem ein juristisches Studium brauche, um den Anwälten auf gleicher Augenhöhe gegenüberstehen zu können. Dazu ist die Gesetzesänderung untauglich. Verlangt man für einen Richter ein juristisches Studium, verlangt man dasselbe wie für einen Auditor, also einen Praktikanten, welcher neu am Gericht anfängt. Auch dieser ist am Anfang nicht in der Lage, selbstständig eine Funktion wahrzunehmen, und zwar weder als Gerichtsschreiber, geschweige denn als Richter. Auch der Auditor muss zuerst während Monaten ausgebildet werden, bevor er später einmal als Gerichtssekretär eingesetzt werden kann. Wenn nun von einem Richter verlangt wird, er müsse nur ein juristisches Studium haben, so muss auch diese Person während Monaten eingearbeitet werden, genauso wie dies heute mit den Laienrichtern schon der Fall ist. Will man aus fachlichen Überlegungen nur Leute, welche von Anfang an als Einzelrichter und auf Augenhöhe mit Rechtsanwälten wirken können, so müsste eine mehrjährige Tätigkeit als Gerichtssekretär, gefolgt von einer längeren Tätigkeit als Ersatzrichter, sowie das Zürcher Anwaltspatent vorausgesetzt werden.

Untaugliche Gesetzesänderung
Die Befürworter der Vorlage versteigen sich in der Wahlzeitung in die Behauptung, die derzeit in unserem Kanton mehrheitlich als Einzelrichter tätigen Laienrichter seien der Verantwortung für die Urteilsfindung, ohne juristische Grundausbildung, nicht gewachsen. Die Prozessparteien hätten Anspruch auf eine unabhängige Richterin oder Richter, welche in der Lage sein müssten, eigenständig den Prozessstoff zu verstehen und eigenverantwortlich darüber zu entscheiden. Auch diese Argumentation zeugt von einer grossen Portion Überheblichkeit, stehen die Laienrichter doch mit ihren Berufskollegen am Gericht in ständigem Austausch und werden in jedem Fall von juristisch ausgebildeten Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreibern unterstützt. Das Rechtsempfinden der Bevölkerung findet ohne Laienrichter nicht mehr direkt Eingang in die Rechtsprechung. Ohne die Mitwirkung von Vertretern einer breiteren Bevölkerung an den Gerichten verliert die Rechtsprechung weiter an Volksnähe und wird noch stärker juristisch geprägt. Sie wird unweigerlich vom Volk weniger verstanden und damit auch weniger akzeptiert werden. Es gibt weitere, sehr gute Gründe, wa rum juristische Laien, analog der bis ins Jahr 2011 im Kanton Zürich und in anderen Kantonen bestehenden Geschworenengerichte, weiter in die Rechtsprechung der Bezirksgerichte einzubinden sind. Dazu gehören insbesondere Lebenserfahrung und Sachwissen so wie klares Urteilsvermögen und Menschenverstand.

Die Wähler nicht weiter entmündigen
In den Bezirken, Dietikon, Meilen, Winterthur und Zürich wird die Tätigkeit als Gerichtssekretär und eine längere Tätigkeit als Ersatzrichter sowie das Zürcher Anwaltspatent für die Wahl als Bezirksrichter vorausgesetzt. Die politischen Parteien und die Stimmbürger in diesen Bezirken wollen das so und das haben auch die jüngsten Richterwahlen gezeigt; Laien hatten dort keine Chance. Anders in anderen Bezirken – und das ist einer der Gründe, warum die SVP-Fraktion gegen diese Gesetzesänderung das Behördenreferendum ergriffen hat: Dort wollen die Bürger nach wie vor Laien und diese werden auch, wie im Februar 2016 im Bezirk Dielsdorf mit Zweidrittelmehrheit geschehen, hervorragend gewählt. Und auch dort werden die Laienrichter-Kandidaten von allen Parteien vorgeschlagen! Mit dieser Gesetzesänderung wird der Bürger bevormundet und es wird ihm die freie Kandidaten-Wahl in seinem Bezirk genommen. Dies ist aus demokratischer Sicht höchst bedenklich. Und reichlich widersprüchlich, ja geradezu bizarr erscheint es, wenn Parteien wie die FDP, welche diese Gesetzesänderung unterstützen, nach wie vor Laienrichter- Kandidaten aufstellen, welche dann auch sehr gut gewählt werden. Auch ohne Vorschriften stünde es diesen Parteien frei, nur noch Juristen aufzustellen – oder braucht es ein Verbot, um sich gegen die eigene Wählerbasis durchzusetzen? Wie müssen sich Laienrichter vorkommen, wenn sie einerseits von ihren Parteien aufgestellt wurden, anderseits aber von ihrer Partei hören müssen, dass man Leute wie sie eigentlich gar nicht will?

Wider die obligatorische Richterausbildung
Wer die Laienrichter abschaffen will, muss auch für eine obligatorische Richterausbildung eintreten. Mit dieser untauglichen Vorlage soll die freie Wahl der Bürger eingeschränkt, die Bürger weiter entmündigt und ihnen Schritt für Schritt das Heft aus der Hand genommen werden. Das ist nicht aus der Luft gegriffene Panikmache, denn das Ganze wurde schon bei den Staatsanwälten durchexerziert. Auch dort fing es damit an, dass man Wählbarkeitsvoraussetzungen schuf, mit der Begründung, man wolle das fachliche Niveau heben. Herausgekommen ist aber etwas völlig anderes: Der Zugang zur staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit wurde erheblich erschwert und unter anderem müssen Kandidaten nun gar ein sogenanntes Assessment, also einen Fähigkeitstest absolvieren. Wenn Banken das für ihre Kader so handhaben, dann ist es deren Sache – die Resultate einer solchen Auswahl und Personalpolitik sind ja hinlänglich bekannt. Mit der Justiz geht das aber so nicht. Und bei gewählten Volksvertretern, etwa Kantons- oder Regierungsräten, geht es auch nicht an, dass man Kandidaten zuerst durch eine halbesoterische camera obscura beurteilen lässt, bei der man nicht weiss, wer dort Einsitz hat, wer die Bevorzugten aus dem Kreis der Kandidaten nach welchen Kriterien auswählt, nach welchen Richtlinien das Gremium arbeitet und wer diese festgelegt hat? Mit Demokratie hat das jedenfalls überhaupt nichts mehr zu tun, sondern es wird bei den Staatsanwälten und würde bei den Richtern einer demokratisch nicht legitimierten, undurchsichtigen Expertenkaste die Macht erteilt, letztlich zu entscheiden wer ein bestimmtes Amt ausüben darf und wer nicht. In gewissen hohen Gerichtskreisen wird schon seit Jahren postuliert, dass ein sogenanntes Fachgremium die Vorselektion von Richtern vornehmen soll, nach Kriterien, welche diese selbsternannten «Experten» festlegen. Das tumbe Volk soll und darf dann, als demokratisches Feigenblatt, die Kür noch absegnen.

Fazit
Das Volk, aber auch Politik und Parteien, werden mit dieser Vorlage weiter sanft und unmerklich entmündigt. Deshalb plädiere ich für die Ablehnung dieser, die Wähler bevormundenden Gesetzesvorlage.

Stimmen Sie am 5. Juni 2016 gegen die schleichende Entmachtung der Bürger und gegen die Entdemokratisierung der Richter-Wahlen!