«Viele Kantonsräte sind überfordert»

 

Aus der Zürichsee-Zeitung vom 27.7.2017

Hans-Peter Amrein (SVP) ist so etwas wie der «Anfragekönig» im Zürcher Kantonsrat. Er sieht es als seine Mission, auf diese Weise politische Informationen ans Licht zu holen. Am Rat bemängelt der Küsnachter, er sei viel zu gross.

Die Kellnerinnen im Café Freytag im Zürcher Seefeld kennt Hans-Peter Amrein mit Vornamen: Sein Geschäft, eine Ein-Mann-Firma zur Abklärung von Wirtschaftsdelikten, liegt gleich um die Ecke. Vom Pfefferminztee, den er bestellt, wird der Politiker während des Gesprächs aber nicht mal die Hälfte trinken.

Amrein spricht viel. Teils mit scharfer, teils mit sanfter Stimme. Er weiss um die Wirkung seiner Worte. Und er weiss, was er als Kantonsrat will: Informationen aus der Verwaltung herauskitzeln, die den Bürgern sonst verwehrt bleiben würden. «Die Politik ist heute ohnmächtig gegenüber der verwaltungsgetriebenen Bürokratie», sagt Amrein, und es ist einer jener geschliffenen Sätze, bei denen seine Stimme etwas lauter wird.

Anwalt des kleinen Mannes

Der Küsnachter hat in seinen gut sechs Jahren im Kantonsparlament fast 100 Anfragen eingereicht. Deren Themen reichen von Justizvollzug über Datenschutz bis zu Ordnungs- und Finanzpolitik. Die Regierung muss jeweils dazu Antworten liefern. Wer einwendet, diese Flut von Anfragen würde doch wiederum zu einem enormen Verwaltungsaufwand führen, wird von Amrein getadelt, dies sei ein «vollkommen falsches Denken».

Der 58-Jährige sieht sich als Anwalt des «kleinen Mannes», als unabhängiger Kämpfer für die Demokratie. Interessenbindungen durch Vorstandstätigkeiten in Verbänden oder Vereinen, wie sie andere Kantonsräte zuhauf haben, fehlen ihm. Amrein, der einsame Krieger? Ein Bild, gegen das er sich entschieden wehrt. «Mein Einvernehmen mit der SVP-Fraktion ist gut.» Dass er die Mitgliedschaft nach einem internen Konflikt vor anderthalb Jahren für einige Monate «ruhen liess», wie er sagt, sei kein Thema mehr.

Digitalisierung erschwert Amt

Amreins Pfefferminztee ist mittlerweile nicht mehr heiss, seine Forderung ist es dagegen schon eher: 120 statt wie heute 180 Mitglieder sollte der «viel zu grosse» Kantonsrat zählen. «Das würde die Spreu vom Weizen trennen.» Ein unzimperliches Urteil gegenüber seinen Kollegen. Aber Amrein doppelt noch nach: «Viele Kantonsräte sind überfordert.» Immer mehr Rentner und mehr Staatsangestellte sässen im Parlament, während Berufsleute in verantwortungsvollen Positionen immer weniger Zeit für das Milizamt fänden. Die Folge laut Amrein: «Die Qualität der Ratsarbeit hat massiv abgenommen.»

Sich selber sieht der Küsnachter erst in der Halbzeit seiner Parlamentstätigkeit. Mit den ganzen Aktenbergen umzugehen, ist aber auch für ihn eine Herausforderung, wie er einräumt. Durch die Digitalisierung nehme der Arbeitsaufwand noch zu. Amreins Anspruch an sich selber: «Ich versuche jedes Dokument zumindest querzulesen.»

Botschaft aus dem Spitalbett

Die Politik nennt der ausgebildete Kaufmann «ein grosses Hobby», aber keinen Beruf. Die Zeit dafür muss er sich manchmal vom Mund absparen. Der Vater zweier Kinder im Alter von 17 und 7 Jahren versucht aber jeden Tag «irgendwann zwischen 17 und 20 Uhr daheim und für meine Lieben da zu sein» – auch wenn es nur für eine halbe Stunde sei.

Als er selber Kind war, habe er dreimal täglich die «Neue Zürcher Zeitung» gelesen, erzählt Amrein noch. Sein Bub lese heute «20 Minuten» – «und ist viel besser als der Papa im Zuhören». Das sei der Nachteil, wenn man ein Alphatier sei, sinniert der Teetrinker: Man höre zu wenig zu.

Er schont sich nicht, dieser Hans-Peter Amrein. Das zeigte kürzlich auch ein Facebook-Eintrag, den er während eines Spitalaufenthalts absetzte. «Nichts bringt mich um», war die Botschaft an seine Freunde. Und das war durchaus politisch gemeint. (Zürichsee-Zeitung)

Hineingehorcht

ZRZ: Ist Macht käuflich?

Hans-Peter Amrein: Nicht in der Schweizer Politik – aber Einfluss. Via Lobbyisten und Interessenvertreter haben Dritte auch im Kanton Zürich bis auf kommunale Ebene (zu viel) Einfluss. Einmal im Solde Dritter, werden Politiker abhängig und sind leicht zu lenken.

Wann verlieren Sie die Beherrschung?
Wenn die Gegenseite unehrlich agiert oder, meist noch hinterrücks, Unwahrheiten verbreitet werden.

Mögen Sie Überraschungen?
Ohne positive Überraschungen wäre das Leben langweilig. Heikle Überraschungen sind meist auch Herausforderungen, welche ich gerne angehe. Auf traurige und unangenehme Überraschungen kann ich verzichten.

Haben Sie schon mal ans Auswandern gedacht?
Ich habe rund 17 Jahre lang im Ausland – in Bahrain, England, USA, Deutschland, Südafrika, Australien und Liechtenstein – gelebt und gearbeitet, davon fast zehn Jahre im Mittleren Osten. Es war eine schöne und hoch interessante Zeit und ich durfte zahlreiche Freundschaften fürs Leben schliessen. Trotzdem gefällt es mir in meiner Heimat am besten.

Was war als Kind Ihr Traumberuf?
Arzt, wie mein viel zu früh verstorbener Vater.