«Primat von Politik oder Verwaltung – was gilt im Kanton Zürich?»

Primat von Politik oder Verwaltung – was gilt im Kanton Zürich?

Nimmt man das politische Geschehen der vergangenen Monate in unserem Kanton etwas genauer unter die Lupe, so kommt eine Vielzahl von Defiziten ans Licht. Kaum treffender versinnbildlicht dies die von einem gestandenen Zürcher Politiker gemachte Feststellung, die Politik stecke tief in den Sümpfen von Marignano

Sowohl Politik als auch Verwaltung ha- ben sich nur einer Ma- xime zu unterwerfen,

nämlich dem Dienst am Bürger. Leider scheitert die Zusammenarbeit von Po- litik und Verwaltung oft an der man- gelnden Wahrnehmung der Führungs- verantwortung durch die Politik, feh- lender oder nicht eindeutig definierter Vorgaben, sowie einem Mindestmass an Selbstdisziplin und Sach- und Dos- sierkenntnis. Der Verwaltung (und ih- ren Chefbeamten) fehlt es – mit weni- gen Ausnahmen – an Sparringpartnern in allen drei Staatsgewalten (Exekuti- ve, Judikative und Legislative). Und so hat die «vierte» Gewalt im Staat – Presse und Filz – meist ein leichtes Spiel. Dieses Manko kann auch kein Heer von (Kommunikations-)Beratern und Experten ausgebügeln. Der Poli- tikverdruss unter der Bevölkerung nimmt weiter zu und das «schwarze Loch» wird grösser. Einige Begeben- heiten im politischen Alltag unseres Kantons während der letzten zwölf Monate illustrieren dies sehr gut.

Führungsfunktionen werden oft durch die Exekutive nicht wahrgenommen

Die Exekutive erscheint des Öfteren weder willens noch in der Lage, die ihr zugedachten Führungsfunktionen wahrzunehmen. Kronzeuge davon ist die viel zu spät an die Hand genomme- ne (Teil-)Sanierung der BVK Perso- nalvorsorge des Kantons und die dabei angewandte Salamitaktik. Die anläss- lich einer Feuerwehrübung eingesetz- ten 2 Milliarden Franken sind nur ein Tropfen auf den heissen Stein, ist doch von einem Gesamtsanierungs-

bedarf von weit über 15 Milliarden Franken auszugehen. Auch Tricks zwecks Aushebelung des Mittelfristi- gen Ausgleichs, die SVP-Fraktion und Verbündete haben dagegen das Behör- denreferendum eingereicht, sind der Sache überhaupt nicht dienlich. Was die rührige Verwaltung aufgrund des Gesetzes über die Verselbständigung der Versicherungskasse für das Staats- personal (177.201.1), welches die vollständige Ausfinanzierung der Kas- se vor Verselbständigung vorschreibt, der Regierung vorschlagen wird, ist absehbar: die Ausfinanzierung der ma- roden Kasse mittels Aufnahme von Schulden (Plazet des Parlaments nicht nötig) sowie einen jährlich vorgegebe- nen Budgetbestandteil. Auch die in- kohärente Haltung einzelner Verwal- tungseinheiten (Kinderspital Zürich versus Spital Winterthur) bei der Fra- ge der Beschneidung (aufgrund ei- nes deutschen Gerichtsentscheides …) und die in dieser Sache nicht wahrge- nommene Führungsverantwortung des zuständigen Magistraten, sind weitere Zeugen einer tief im Morast stehenden Regierung.

Schwächelnde Legislative

Eine schwache Legislative steht dem Manko an Führung und Führungswille in keiner Weise nach. Seit Jahr und Tag ist es usus, dass anlässlich der jährli- chen Rechenschaftslegung durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten und Körperschaften (ZKB, EKZ, Kantons- spitäler, Universitäten u. a.) deren Rechnungen und Jahresberichte wohl vorgehend der Debatte im Parlament in den dafür zuständigen Kantonsrats- Kommissionen beraten werden, die Debatte dazu aber vor der Rechen- schaftslegung durch die Geschäftsfüh- rung im Rat geführt wird. Damit hat der Rechenschaft Abzulegende das letzte Wort. Die schwächelnde Legis-

lative lehnte anlässlich der Revision des Kantonsratsgesetzes einen Vor- stoss der SVP ab, welcher forderte, dass mittels Interpellationen und An- fragen Aufschluss über Angelegenhei- ten öffentlich-rechtlicher Anstalten und Körperschaften verlangt werden kann. Damit zementierte das Parla- ment die bestehende Intransparenz und eine unverhältnismässige Macht der Führungsgremien einzelner staatlicher Verwaltungseinheiten.

Judikative weiter marginalisiert

Unsere Judikative, aufgrund des Grundsatzes der Gewaltentrennung praktisch vollständig immunisiert, wird ausserhalb der einzelnen Ge- richtskörper als führungsschwach wahrgenommen und marginalisiert sich mittels vom Bürger als weltfremd und lasch empfundenen oder gänzlich unverstandenen Urteilen weiter. Stiller Zeuge einer innerhalb der Richter- schaft agierenden Alt-68er-Gilde ist das Urteil RU110052 der 2. Zivilkam- mer des Obergerichtes: «Die Abhän- gigkeit der Richterinnen und Richter von politischen Parteien, ohne welche kein Richteramt auf irgend einer Stufe besetzt wird, kann objektiv Bedenken an der Unabhängigkeit der Amtsträger wecken … (und weiter) … Das Bundes- gericht hat aus der Mitgliedschaft ei- nes Richters in einer für ihren wenig zimperlichen Stil und für die radikale Disziplinierung von Abweichlern be- kannten Partei jedenfalls ohne be- stimmte Umstände keinen Grund zum Ausstand gesehen …». Die Mitglieder der Legislative hätten sehr wohl An- lass, solche richterlichen Ergüsse an- lässlich der alle 7 Jahre, nächstens 2013, anstehenden (Wieder-)Wahlen zu würdigen, und dies widerspräche auch nicht dem in unserem Kanton all- seits nachgelebten Grundsatz, «dass das Forum der Legislative nicht zur

Beeinflussung der Rechtsprechung eingesetzt werden soll» (Geschäftsbe- richt Obergericht 1996). Doch auch hier wird der Politik der Mut fehlen. Wäre, wie anlässlich der Revision des Geschäftsreglements des Kantonsrates durch findige Juristen aus der Verwal- tung angedacht, nur noch der Ge- schäftsgang und nicht mehr die Ge- schäftsführung von Justizverwaltung und ihr beigeordneten Amtsstellen der Prüfung durch den Kantonsrat unter- zogen worden, Tor und Tür hätten sich für weitere Intransparenz in der (Jus- tiz-)Verwaltung geöffnet.

Verwaltungseinheiten nutzen Führungsvakuum gnadenlos aus

Einzelne Verwaltungseinheiten in Kanton und Kommunen, von «politi- schen Beamten» geführt, nutzen das aktuelle Führungsvakuum exzessiv zu ihrem Vorteil. Das Primat der Verwal- tung über die «bürgerliche» Politik wird gnadenlos durchgesetzt. Ein Bei- spiel dafür: anlässlich der Planauflage (Strassengesetz, 722.1, Artikel 13), zwecks Rückbau der meistbefahrenen Achse durch die Stadt Zürich, der Rosengarten-/Bucheggstrasse, wurde auf den aufgelegten Plänen der Soll- Zustand (Abbau einer Fahrspur) dem IST-Zustand «vorgezogen» und damit der IST-Zustand einfach «unterschla- gen». Eine entsprechende Einwen- dung aus der Bevölkerung wurde im öffentlich aufgelegten Bericht zu den nichtberücksichtigten Einwendungen durch die ausser Rand und Band gera- tene Verwaltung wie folgt gewürdigt: «Sinn und Zweck des Mitwirkungsver- fahrens ist, eine demokratische Mit- wirkung der Bevölkerung sicherzustel- len. Sie soll sich ein Bild über das Strassenbauprojekt und dessen finan- zielle Folgen machen, die Meinung da- zu abgeben und Vorschläge einbringen können. Es gibt keine gesetzlichen Vor-

gaben, die bestehende Situation einzu- zeichnen. In der Regel dürfen die Plä- ne nicht mit Details überladen werden, welche nicht zur baulichen Neugestal- tung gehören. Diese könnten es der Bevölkerung erschweren, sich ein Bild über die baulichen Änderungen zu machen …».

Während die Gehälter von Magis- traten und Chefbeamten durchaus mit vergleichbaren Positionen in der Pri- vatwirtschaft mithalten können, hapert es aus verschiedenen Gründen gewal- tig im Unterbau. Ob Ingenieur oder Jurist – junge Leute ziehen eine Positi- on in der Privatwirtschaft einer Karrie- re in Verwaltung, Judikative und dem mühseligen Weg in Politik und/oder Militär vor. Der Milizgedanke stirbt schleichend – «man» zieht die Leis- tungs- oder die Spassgesellschaft dem Dienst am Staat vor. Und so kommt es, dass ausser einer schwindenden Zahl von Idealisten und Zufriedenen, viele der Besten dem Staat («der Gemein- schaft aller Bürger») den Rücken keh- ren. Die entstandenen Lücken müssen durch Staatsangestellte ausländischer Herkunft geschlossen werden, welche – zumindest am Anfang ihrer Karriere – mit den Gegebenheiten unseres Lan- des wenig oder gar nicht vertraut sind und verständlicherweise auch einer gewissen Söldnermentalität huldigen.

Fazit

Die Politik hat ihr Primat wieder durchzusetzen. Sie hat zu führen, zu fordern und zu dienen. Grundlage dazu sind eine minimale Sach- und Dossier- kenntnis, ohne welche die Verwaltung nicht als Sparringpartner auf Augenhö- he dienen kann. Und nur so und nach Absage an die vorherrschende Medio- krität kann das Ansehen von Politik und Verwaltung gefördert werden und überlebt der auf dem Milizsystem auf- bauende Staat in seiner heutigen Form.

Download Zürcher Bote