In Zürcher Liften – sicher, sicher und nochmals sicher

Wie oft müssen Fahrstühle gecheckt werden? Zu oft, finden Kritiker. Was dahintersteckt.

Es ist die Horrorvorstellung jedes Liftbenützers: stecken zu bleiben – oder in den Keller zu stürzen. Glücklicherweise sind Unfälle mit Aufzügen sehr selten. Doch jetzt werden die Lifte plötzlich zum Politikum. «Die Kontrolle und Wartung von Beförderungsanlagen ist allem Anschein nach im Kanton Zürich stark überreguliert», schreiben die Kantonsräte Hans-Peter Amrein (SVP, Küsnacht), Marcel Lenggenhager (BDP, Gossau) und Erich Vontobel (EDU, Bubikon) in einer Anfrage im Kantonsparlament.

Sie verlangen vom Regierungsrat Auskunft zur Regulierung von Liften und Rolltreppen im Kanton Zürich und zur Zahl der Unfälle wegen nicht sachgemässer Wartung. Insbesondere wollen sie auch wissen, ob die Regierung bereit sei, die periodisch vorgeschriebenen Kontrollen zu reduzieren, und ob sie die Kosten, die Liegenschaftenbesitzern wegen der vielen Auflagen entstehen, für verhältnismässig hält.

«Wartung und Kontrolle von Beförderungsanlagen sind im Kanton Zürich enorm aufwendig und teuer», sagt Hans-Peter Amrein. Es gebe eine Vielzahl von Vorschriften wie etwa die von der Baudirektion vorgeschriebenen baurechtlichen Anforderungen an verschiedene Arten von Beförderungsanlagen, die europäische Richtlinie zur Erhöhung der Sicherheit an bestehenden Aufzügen (Esba) oder die Vorschrift zur Anzahl Wartungen an Beförderungsanlagen nach Formular Nr. A 3001.

«Je nach Anzahl Fahrten pro Woche müssen bis zu zwölf Wartungen pro Jahr vorgenommen werden, bei mehr als 200 Fahrten pro Woche schon deren sechs Wartungen pro Jahr», sagt Amrein. Dies sei umso unverständlicher, als es sich bei der eingesetzten Technik und Elektronik um «keine Technologiewunder» handle. «Weshalb muss ein Motorfahrzeug, welches um ein Vielfaches unfallanfälliger und wohl auch ‹gefährlicher› ist als eine Beförderungsanlage, in viel grösseren Abständen gewartet werden als ein Lift und eine Rolltreppe?»

«Die Kosten zahlen die Mieter»

Auch Marcel Lenggenhager bemängelt die vielen Kontrollen. Der damit verbundene administrative Aufwand treibe die Kosten in die Höhe: «Am Schluss bezahlen das die Mieter und Steuerzahler.» Technisch seien die Aufzüge markant verbessert worden, sagt der in der Liegenschaftenverwaltung tätige Kantonsrat. Die heutigen Vorschriften beim Einbau seien so streng, dass sich weniger Kontrollen aufdrängten. Lenggenhager: «Die Liftkontrolle mag eine Nebensache sein, aber Sparen beginnt im Kleinen.»

Ein Hausbesitzer in Zürich ärgert sich über die Vorschriftenflut. Er habe aufgrund neuer behördlicher Auflagen kürzlich einen Lift ersetzen müssen – für 60’000 Franken. Dies, obwohl der bestehende Lift noch einwandfrei funktioniert habe. Mit dem Geld hätte er lieber die Hausfassade renoviert, zudem biete die neue Liftkabine erst noch weniger Platz als die alte.

Die Baudirektion von Regierungsrat Markus Kägi (SVP) lehnt eine Stellungnahme ab: Man könne der Regierungsratsantwort nicht vorgreifen. Beim Stadtzürcher Hochbaudepartement mit seiner Abteilung Aufzugsanlagen heisst es: «Dass wir die knapp 20’000 Anlagen in der Stadt Zürich in angemessenem Umfang überprüfen, zeigt sich am Umstand, dass es nur sehr wenig Rechtsmittelverfahren gibt, circa eines pro Jahr.»

Das sicherste Verkehrsmittel

Kritik an der amtlichen Liftkontrolle war früher schon aufgeflammt. 2004 sah die Zürcher Regierung keine Veranlassung, «an der bewährten Kontrollpflicht etwas zu ändern». Diese habe die Unfallrate deutlich gesenkt. «Aufgrund der im Kanton Zürich gewissenhaft durchgeführten Wartungen und behördlichen Kontrollen», schrieb der Regierungsrat damals in seiner Antwort auf eine CVP-Anfrage, seien in den letzten Jahren auf Kantonsgebiet im Durchschnitt nur bei 0,035% der Aufzugsanlagen Unfälle verzeichnet worden. Im Gegensatz dazu habe sich in den übrigen Kantonen der Schweiz, in denen die periodischen Wartungen und Kontrollen nicht baurechtlich verankert seien, bei 1,8% der Aufzüge ein Unfall ereignet.

Laut dem Verband Schweizerischer Aufzugsunternehmen (VSA), dem auch die Branchenriesen Schindler, Otis, Kone und AS Aufzüge angehören, gelten Aufzugsanlagen als «das sicherste Verkehrsmittel». Die Zahl der Unfälle sei dank zahlreicher Sicherheitsanforderungen klein, sagt Gregor Herger, Präsident der Kommission Recht und Sicherheit beim VSA. Er weist darauf hin, dass in der Schweiz gemäss Obligationenrecht der Eigentümer für die Betriebssicherheit seines Aufzugs verantwortlich sei. Dabei habe er die freie Wahl, ein Wartungsunternehmen zu beauftragen, das für den sicheren Zustand der Anlage sorge. Dieses Unternehmen hält sich laut Herger an die Wartungsanleitung des Herstellers, die etwa Umfang und Intervalle des Unterhalts festlegt. «Eine regelmässige Wartung hilft dem Eigentümer nicht nur, sein Haftungsrisiko zu minimieren, sondern stellt die Sicherheit der Anlagenbenützer sowie den Wert­erhalt der Anlage sicher», sagt Herger.

Zürich ist strenger als andere

Die Wartungsdisziplin bei Beförderungsanlagen in der Schweiz beurteilt der Branchenexperte als gut. Im Kanton Zürich und vor allem in der Stadt Zürich werde die Aufzugskontrolle im Vergleich zu andern Kantonen sehr streng gehandhabt. Herger: «Besonders in der Stadt Zürich geht das Amt für Baubewilligungen, Abteilung Liftanlagen, im Zusammenhang mit den periodischen Kontrollen über die in der Esba-Richtlinie festgelegten Risiken hinaus, ohne dass eine gesetzliche Grundlage dafür besteht.» Beim VSA klagten denn auch verschiedentlich Kunden über die vielen zusätzlichen Auflagen wie neue Sicherheitsanforderungen für bestehende Aufzüge, Schutzräume gemäss aktuellen Normen, Geschwindigkeitsreduktionen oder zusätzliche Kabinendachgeländer.

Den Vorwurf der Lift-Bürokratie nicht kommentieren will der Schweizerische Verein für technische Inspektionen (SVTI). Es handle sich um eine politische Frage. Auch Guido Brem vom Fachinspektorat für Beförderungsanlagen (Fiba) in Rudolfstetten hält sich bedeckt. Immerhin will er die Frage an der nächsten Sitzung der Kontrollorgane des Kantons Zürich traktandieren.

«Kartellähnliche Züge»

Hans-Peter Amrein lässt nicht locker. Das ganze Vergabe- und Kontrollwesen bei den Aufzügen trage kartellähnliche Züge, sagt er. «Da verdient sich jemand eine goldene Nase.» Belege für den Kartellvorwurf kann er allerdings nicht vorlegen. Dennoch hält der SVP-Kantonsrat die Zustände für so gravierend, dass er am liebsten die Wettbewerbskommission (Weko) einschalten würde. Vorerst macht er weiter Druck mit Vorstössen. In einer zweiten Anfrage will er von der Regierung wissen, wie viele Wartungssammelverträge innerhalb der ganzen Kantonsverwaltung mit Herstellern von Beförderungsanlagen laufen und wie hoch die jährlichen Kosten für Service und Reparaturen ausfallen.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 28.03.2017, 00:26 Uhr