Der Polterer im dunklen Anzug

Der Küsnachter Kantonsrat Hans-Peter Amrein ist bekannt für seine angriffslustigen und zuweilen lauten Auftritte. Er schont niemanden – am wenigstens sich selbst.

Der Wolf im Schafspelz in der Zürcher Politik heisst Hans-Peter Amrein. Stets gepflegt im dunklen Anzug gekleidet, höflich im Umgangston und kultiviert auftretend kann sich der SVP-Kantonsrat plötzlich in Rage reden. Der Küsnachter nennt es «engagiert politisieren», andere «Wutausbruch». So etwa 2012, als er die Entlassung von Nationalrat und Parteikollege Christoph Mörgeli von der Universität heftig kritisierte und dabei die SP-Bildungsdirektorin Regine Aeppli in den Senkel stellte.

Bis ihm der Ratspräsident das Wort entzog und das Mikrofon abstellte. Das wertet er noch heute als Ungerechtigkeit. «Die Zwischenrufe waren länger als meine Rede, ich konnte nicht einmal fertig reden.» Er habe damals nichts Ehrenrühriges gesagt. «Ich bin offen, ehrlich, direkt, wenn nötig emotional aber nicht nachtragend.» In der Politik brauche es eine Elefantenhaut. «Als Mimose hält man nicht lange durch.»

Eigener Partei Stirne bieten

Zu seinen politischen Vorbildern zählt Amrein Jeanne Hersch (1910–2000). Wie bitte, eine SP-Nationalrätin? Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch aussieht, passt auf den zweiten: Die Philosophin Hersch bot ihrer Partei die Stirne, indem sie Kernenergie und Landesverteidigung befürwortete, aber die Legalisierung von Drogen ablehnte.

Auch Amrein löckt derzeit wider den eigenen Parteistachel. Er fühlt sich ungerecht behandelt von seinem Fraktionschef Jürg Trachsel (Richterswil). Seine Integrität sei verletzt worden, sagt er. Die Gegenseite insistierte – und konsequent wie er ist, trat Amrein aus der Fraktion aus.

Verteidigung wird Angriff

Wenn der 57-jährige, ausgebildete Kaufmann so erzählt, wird seine Stimme lauter. Den Blick wendet er nicht mehr vom Gegenüber ab. Kopf und Oberkörper rücken über den Tisch. Aus Verteidigung wird Angriff.

Im nächsten Moment lehnt sich Amrein wieder zurück, antwortet leise und bedächtig auf die Fragen des Journalisten. Und dann sagt er einen Satz, der das pure Gegenteil eines Polterers ist: «Politik ist nicht Kampf, denn Kampf ist aussichtslos. Nur mit Einsatz, Beharrlichkeit und Überlegenheit in der Fachkenntnis kommt der Erfolg – zumindest von Zeit zu Zeit.» Beim jüngst verabschiedeten Kantonsbudget konnte er mit Abänderungsanträgen punkten. Seine ihm selbst von härtesten Gegnern attestierte Dossiersicherheit half ihm dabei.

Der liberale Staatsskeptiker

Der Religionslehrer im Internat und die NZZ hätten ihn schon als Bub politisiert. Diese Lektüre machte ihn zum Liberalen. Aber die Brücke zur FDP baute ihm die NZZ nicht. «Die FDP ist nicht mehr die Partei, die sie im letzten und vorletzten Jahrhundert war», sagt Amrein. Deren Vertreter im Kanton Zürich ordnet er heute mehrheitlich dem links-liberalen Flügel zu. «Sie vertreten oft etatistisches Gedankengut, das entspricht meist nicht dem Willen vieler Wähler dieser Partei.» Zumindest ihm, dem erzbürgerlichen Staatsskeptiker ist diese Einstellung suspekt.

Seine Idealvorstellung von Staat ist die Gemeinschaft von allen Bürgern mit einer starken Führung. Da hapere es auf beiden Seiten. «Das Volk sollte sich mehr mit der Politik beschäftigen, sich vor Abstimmungen einlesen und darüber mit anderen diskutieren», sagt er. «Und die Bürger dürfen der allmächtigen Presse nicht alles glauben.» Auch die Mitglieder der Regierungen kommen bei Amrein nicht gut weg. «Es werden leider selten die Besten in die Exekutive gewählt.» Vielmehr würden jene aufs Schild gehoben, die für möglichst viele wählbar seien und niemanden wirklich weh täten.

Gemeinsames Bett verlassen

«Es fehlt an klarer volksverbundener Führung und Ehrlichkeit – und an Realitätssinn», kritisiert er. Darum fühlt er sich in der SVP zu Hause. «Diese Partei ist bürgernah, volksverwurzelt, und es wird auch innerhalb der Partei offen und ehrlich debattiert.» Die Geschichte mit dem Austritt aus der Fraktion bezeichnet er als «Einzelfall». Es sei, wie wenn einem die Ehefrau vorwerfe, sie mit ihrer besten Freundin betrogen zu haben. «Wenn das an den Haaren herbeigezogen ist, dann schlafen Sie für eine gewisse Zeit auch nicht mehr im gleichen Bett wie Ihre Frau.»

Irgendwann müsse aber «unter vier Augen Tacheles gesprochen werden». Amrein denkt, dass die Zeit dafür spätestens im Frühling reif ist. Ein Parteiaustritt sei für ihn unvorstellbar, ein Parteiwechsel noch unmöglicher.

Beharrlich für Gerechtigkeit

Im Frühling warb Amrein im Wahlkampf für den Kantonsrat mit mehreren Versprechen. Er will sich gegen Milliardenschulden auf Kosten der Jungen, für leistungsorientierte Schulen einsetzen. Ausserdem ist er für eine Politik, die den Menschen im Alter Sorge trägt, die den Eigenmietwert abschafft und den Strassenrückbau stoppt. Seinen Forderungen verleiht er Nachdruck mit Voten an politischen Veranstaltungen, Auftritten an Podiumsdiskussionen und Vorstössen im Parlament. Notfalls nach Niederlagen immer wieder aufs Neue. Steter Tropfen höhlt den Stein, lautet seine Devise.

Amrein ist ein beharrlicher Mensch. Sein Sinn für Gerechtigkeit treibt ihn voran – auch beruflich. Er ist Geschäftsführer einer Consultingfirma, die bei Verdacht auf Wirtschaftsdelikte angerufen wird. «Ich setze mich für meine Wähler und alle Bürger ein, wenn die mit einem Anliegen zu mir kommen, bei dem ich das Gefühl habe, dass Unrecht geschehen ist oder dem Betroffenen das Gehör verweigert worden ist.» Diese Einstellung hält er für die Aufgabe jedes Volksvertreters. «Aber ich bin kein Volksanwalt, kein Idealist, kein Supermann. Ich bin Realist.»

Unbequem sein bringt Ärger

Noch ein Credo hält er hoch: «Ein Politiker darf nicht den Weg des geringsten Widerstands gehen, sondern muss sich mit aller Kraft dafür einsetzen, was er für richtig hält.» Eckt zwangsläufig an, wer immer zu seiner Überzeugung steht? Amrein denkt mit geschlossenen Augen nach und nickt: «Ja, weil es in unserer Wohlstandsgesellschaft vielmals nicht opportun ist, die Meinung offen und ehrlich auszudrücken.» Anpassertum und Wohlfühlsinn würden höher gewertet als die schmerzhafte Wahrheit. «Ehrlichkeit und Einfachheit passen in der Politik selten zusammen.»

Unbequem sein verheisst Ärger. Hans-Peter Amrein weicht den Schwierigkeiten nicht aus. «Ich erwarte von allen Politikerinnen und Politikern, dass sie sich mit ihren Möglichkeiten für die Anliegen der Bürger einsetzen. Wenn das nicht geht, sollen sie zurücktreten.»

Auf sich selbst nimmt er am wenigsten Rücksicht. Selbst ein Herzinfarkt vor zwei Jahren stoppte ihn nicht. In der Woche danach stand er schon wieder in einem aufreibenden Abstimmungskampf.

Disziplin und Pflicht

Hans-Peter Amrein strahlt militärische Disziplin aus. «Ich lese die Dossiers, und ich stehe auf, wenn Unrecht geschieht.» Zwei Tage und praktisch jeden Abend in der Arbeitswoche sowie viele Samstagmorgen und Sonntagabende widmet der Hauptmann aD der Politik. «Die Familie kommt manchmal zu kurz, und ich habe ein paar Freunde weniger.» Er sagt es ohne Bedauern, eben wie einer, der sich in der Pflicht sieht. Das Privatleben hat hintanzustehen.

Besessen von Politik? «Wenn man etwas macht, dann macht man es richtig», winkt er ab. «Ich will einfach mit all meiner Kraft offen, ehrlich und direkt den Auftrag der Wähler ausführen.» Solche Sätze spricht er leise und bedacht – ganz der korrekte Mann mit guten Manieren im dunklen Anzug. Kaum vorstellbar, dass Amrein von einem Moment zum nächsten den Schafspelz ablegen kann. Darüber wundert er sich manchmal selbst, wenn er über oder neben das Ziel geschossen hat. «Ich schaue mich dann im Spiegel an und sage: Da hast du jetzt wirklich einen Seich gemacht.» Den Eklat in der SVP-Fraktion zählt er nicht dazu. «Ich konnte mich danach gut im Spiegel anschauen.»

Artikel auf zsz.ch anschauen